Chatkontrolle
Ringen der EU um Chatkontrolle geht in die nächste Runde
Von Anika Söhnle //
Seit Monaten ringen die Mitgliedsstaaten der EU um eine Einigung beim Thema Chatkontrolle.
Aufgrund der Uneinigkeit gilt derzeit eine freiwillige Chatkontrolle der Mitgliedsstaaten, diese läuft allerdings im Sommer 2024 aus. Nun wurde durch die belgische Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, verschlüsselte Messengerdienste wie z.B. Threema, Signal oder WhatsApp als hochriskant einzustufen, und damit die Inhalte solcher Chats vorrangig zu prüfen.
Chatkontrolle
Bei der Chatkontrolle geht es um einen Verordnungsentwurf der EU-Kommission, der derzeit im Europäischen Parlament und im Ministerrat verhandelt wird. Dieser Entwurf zielt darauf ab, sexuelle Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen, indem er die Überwachung und Kontrolle bestimmter Online-Kommunikationsdienste wie Messaging-Apps und E-Mail-Dienste regelt. Da hier z.B. auch die Möglichkeit geschaffen würde, die Ende-zu-Ende Verschlüsselung faktisch zu umgehen, wird der Verordnungsentwurf von zahlreichen Politikern und Bürgerrechtsorganisationen scharf kritisiert. Auch die geplante anlasslose Massenüberwachung führte zu heftiger Kritik. Die Ende-zu-Ende Verschlüsselung solcher Dienste könnte mithilfe des sogenannten Client-Side-Scanning umgangen werden. Hierbei erfolgt die Überwachung und Analyse von Nachrichteninhalten direkt auf den Geräten der Nutzer, bevor diese verschlüsselt und versendet werden.
Uneinigkeit innerhalb der EU
Während die EU-Kommission eine anlasslose und umfassende Chatkontrolle befürwortet, kritisiert das EU-Parlament dies und fordert eine Beschränkung auf unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen. Die Uneinigkeit der EU-Staaten verhinderte die geplante Einigung bereits letztes Jahr, woraufhin zunächst eine freiwillige Kontrolle durch die Mitgliedsstaaten ermöglicht wurde. Diese Übergangslösung läuft jedoch im Sommer 2024 aus. Da eine Einigung nicht in Sicht ist, wird derzeit über eine Verlängerung der freiwilligen Kontrolle verhandelt.
Die belgische Ratspräsidentschaft schlägt nun vor, Dienste in verschiedene Risikokategorien einzustufen, was zu abgestuften Maßnahmen und Überwachungspflichten führen würde. KritikerInnen argumentieren jedoch, dass dies letztendlich zu einer weiteren Massenüberwachung führt und keine gezielte Überwachung ermöglicht.
Massive Kritik
Die Chatkontrolle stößt auf breiten Widerspruch von verschiedenen Gruppen, darunter Datenschutzbehörden, IT-SicherheitsforscherInnen, Menschenrechtsorganisationen und Jugendlichen. Es gibt Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit, der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit.
Juristen aus ganz Europa warnen ebenfalls vor den rechtlichen Konsequenzen der Chatkontrolle und halten sie für rechtswidrig. Auch die deutsche Regierung und der juristische Dienst des EU-Rats sind dieser Ansicht. Die geplante Verpflichtung zur Chatkontrolle würde auch sicherere Dienste wie Protonmail und verschlüsselte Messenger wie Signal stark beeinträchtigen.
Neuer Vorschlag aus Belgien
Kürzlich geleakte Dokumente der belgischen Ratspräsidentschaft deuten nun darauf hin, dass die EU-Staaten eine verstärkte Kontrolle von durchgängig verschlüsselten Messenger-Diensten wie WhatsApp, Signal und Threema planen. Diese Dienste gelten als sicher und datenschutzfreundlich, sollen jedoch nun als hochriskant eingestuft werden. Demnach könnten gegen sie Aufdeckungsanordnungen mit einer Dauer von bis zu 24 Monaten verhängt werden, während die Betreiber verpflichtet wären, Kommunikationsdaten für Strafverfolger zugänglich zu machen.
Die Einstufung eines Dienstes als „hohes Risiko“ hängt laut den Dokumenten von verschiedenen Kriterien ab, darunter die Möglichkeit verschlüsselten Messagings oder anonymer Profile. Selbst interaktive Funktionen wie Direktnachrichten könnten als hochriskant betrachtet werden. Das Risikokategorisierungssystem basiert auf einer Reihe von Parametern, die per Scoring unterschiedliche Bewertungsmethoden anwenden.
Ausnahmen
Die geleakten Dokumente enthalten auch die Pläne, bestimmte Personengruppen wie etwa Accounts von Angehörigen von Polizei, Militär oder Geheimdiensten auszunehmen. Dies soll dann auch für Regierungsangehörige der jeweiligen Mitgliedsstaaten gelten. Auch Berufsgeheimnisträger wie Ärzte oder Rechtsanwälte sollen ausgenommen werden. Fraglich ist allerdings, wie Chats mit solchen Personengruppen erkannt werden sollen, ohne die Chats zu analysieren.
Erneute Kritik
Allerdings gibt es erneut heftige Kritik an den neuen Vorschlägen. Zivilgesellschaftliche Organisationen, Politiker und Juristen aus ganz Europa appellieren an die EU-Länder, keinem halbgaren Kompromiss zuzustimmen. Sie bemängeln, dass die grundlegenden Mängel der bisherigen Entwürfe, darunter Massenüberwachung und Bedrohungen der Verschlüsselung, durch die neuen Texte der Ratspräsidentschaft nicht behoben werden.
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